Wiener Schnitzel: Mythen, Belege und was „echt“ heißt
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Wiener Schnitzel: Mythen, Belege und was „echt“ heißt
von Skyflyhigh am 06.09.2025 10:53Ich stoße immer wieder auf unterschiedliche Geschichten zur Herkunft des Wiener Schnitzels.
Manche verorten den Ursprung in Wien, andere verweisen auf Verbindungen nach Mailand.
Auch die berühmte Radetzky-Anekdote wird in vielen Artikeln zitiert.
Gleichzeitig gibt es ältere Kochbücher, die bereits panierte Kalbsschnitzel beschreiben.
Teilweise unterscheiden die Quellen streng zwischen Kalb und Schwein, teils wird alles unter dem gleichen Namen geführt.
Selbst die Beilagen und das richtige Fett scheinen Teil der Tradition zu sein.
Mir ist klar, dass Begriffe sich im Lauf der Zeit verändern und Rezepte wandern.
Trotzdem würde ich gern eine nachvollziehbare Einordnung der wichtigsten Belege sehen.
Außerdem interessiert mich, wie verlässlich die populären Mythen tatsächlich sind.
Welche historischen Belege gelten heute als belastbar, welche Mythen sollte man kritisch sehen, und was macht das „echte" Wiener Schnitzel formal aus?
Re: Wiener Schnitzel: Mythen, Belege und was „echt“ heißt
von Cloudy am 06.09.2025 12:33Historisch belastbar ist zunächst, dass der Name „Wiener Schnitzel" im 19. Jahrhundert in der Kochliteratur auftaucht, und zwar explizit für ein paniertes Kalbsschnitzel.
Schon zuvor beschrieben Kochbücher die Technik, Kalb in Mehl, Ei und Bröseln zu wenden und in Fett goldgelb auszubacken, sodass Wien eine lokale Ausprägung einer verbreiteten Methode kodifizierte.
Als gesichert gilt außerdem die Definition im Österreichischen Lebensmittelbuch: Ein Wiener Schnitzel ist aus Kalbfleisch; Varianten mit Schwein heißen „Schnitzel Wiener Art".
Die vielzitierte Radetzky-Erzählung, das Rezept sei aus der Lombardei importiert worden, wird von Sprach- und Küchenhistorikern regelmäßig als Legende eingeordnet.
Ähnlichkeiten mit der Cotoletta alla Milanese sind unbestritten, doch daraus folgt kein eindeutiger Ableitungsweg, sondern eher ein gemeinsames mitteleuropäisch-italienisches Repertoire des Panierens.
Kurz: Es gibt Überschneidungen, aber keinen harten Beweis für eine einfache „Erfindung hier, Export dorthin"-Geschichte.
Einen kompakten Überblick mit den gängigen Belegen und Datierungen findest du z. B. hier: https://www.leeza.at/woher-kommt-das-wiener-schnitzel/ – dort werden frühe Nennungen, die Rolle der Wiener Küche und die Mythen um Radetzky verständlich zusammengefasst.
Solche Darstellungen erinnern auch daran, dass das Wiener Schnitzel historisch mit Kalb gedacht ist und die Panierung in lockerem, „souffliertem" Fettbad schwimmend ausgebacken wird.
Das erklärt, warum Butterschmalz oder Schmalz klassisch sind und warum dünnes, flach geklopftes Fleisch und frische Brösel entscheidend für die wellige Kruste sind.
Beilagen wie Erdäpfelsalat, Gurkensalat oder Petersilienkartoffeln und die Zitronenscheibe sind traditionelle, aber natürlich nicht rechtsverbindliche Begleiter.
Wenn du Quellen bewerten willst, achte auf drei Dinge: nennt der Text konkrete Kochbücher mit Jahr, unterscheidet er Kalb und Schwein korrekt, und verwechselt er Service-Traditionen nicht mit Herkunftsbelegen.
Mythen erkennbar werden, sobald eine Anekdote ohne Datierung, Primärquelle oder Gegenbeleg als Erklärung für alles herhalten soll.
Belastbar bleibt hingegen die Linie: panierte Kalbsschnitzel in Wien seit dem 18./19. Jahrhundert, der Begriff „Wiener Schnitzel" im 19. Jahrhundert und die heutige normative Abgrenzung durch das Lebensmittelbuch.
So eingeordnet kannst du die Geschichte genießen – und das Schnitzel auch.